Mobilität

22.10.2024
Manuela Talenta

Wenn der Stromer Feuer fängt

Mit der steigenden Anzahl an Elektrofahrzeugen auf den Strassen wächst auch die Notwendigkeit, sich mit den spezifischen Herausforderungen bei Bränden solcher Autos auseinanderzusetzen. Zwar ist ein brennendes E-Auto nicht gefährlicher als ein brennender Benziner oder Diesel. Aber es birgt andere Risiken.

Die gute Nachricht vorweg: E-Autos geraten nicht häufiger in Brand als Fahrzeuge mit anderen Antriebstechnologien. Das bestätigten in den letzten Jahren verschiedene Fachorganisationen wie der Schweizerische Feuerwehrverband oder die Beratungsstelle für Brandverhütung wiederholt. Ebenso die Leute an vorderster Front: die Feuerwehrmänner und -frauen. Einer davon ist Michael Derungs. Er ist beim Schweizerischen Feuerwehrverband Fachexperte für Fahrzeuge mit alternativen Antrieben und zugleich Wachtmeister bei Schutz & Rettung Zürich, der Berufsfeuerwehr der Limmat­stadt. Der 44-Jährige sagt: «Ein E-Auto zu löschen, ist zwar komplexer und aufwendiger, aber nicht in jedem Fall gefährlicher. Ein Autobrand birgt generell Gefahren. Bei einem elektrisch angetrie-benen Fahrzeug sind es einfach spezifische, zum Beispiel chemische oder elektrische Komponenten, die gefährlich sein können.» Der Knackpunkt ist die Lithium-Ionen-Batterie. Darum ist sie in einer Crash-sicheren Zone montiert, nämlich im Unterbau des Fahrgestells. Zudem steckt sie in einem wasserdichten Metallgehäuse. Bei einem schweren Unfall wird die Stromversorgung zur Batterie automatisch unterbrochen, damit ausser der Batterie kein Bauteil des Autos mehr unter Spannung steht. Dieser Schutzmechanismus greift zum Beispiel, wenn ein Airbag ausgelöst wird. «Bei einem Fahrzeugbrand verbrennen jedoch Sicherheitseinrichtungen und elektrische Isolationen», sagt Michael Derungs. «Daher besteht unter Umständen eine erhöhte Stromschlaggefahr für die Einsatzkräfte. Das Verhalten sowie die Schutzstufe der Einsatzkräfte müssen also bei Bedarf angepasst werden.»

 

Wenn die Batterie durchgeht

Michael Derungs hat die verschiedenen Einsätze verfolgt, bei denen ein E-Auto betroffen war. «Nicht bei allen war automatisch auch die Batterie beschädigt.» Kommt es bei einer beschädigten Lithium-­Ionen-Batterie zu einer unkontrollierten Energiefreisetzung unter schneller Wärmeentwicklung mit gegebenenfalls Flammbildung und Explosion, wird dies als «Thermisches Durchgehen» (TD) bezeichnet. Dabei handelt es sich um einen komplexen Prozess, wie Tim Tichter erklärt. Er ist PostDoc an der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) in Deutschland, wo zurzeit an einem TD-Frühwarnsystem geforscht wird. «Das Thermische Durchgehen ist eine unkontrollierte Kettenreaktion in elektrischen Energiespeichern wie Lithium-Ionen-Batterien», sagt er. Es wird zumeist durch Defekte in einer Zelle ausgelöst, zum Beispiel durch einen internen Kurzschluss. Ein solcher Kurzschluss wiederum kann auftreten, wenn etwa im Separator – einer dünnen Membran, welche die zwei Elektroden einer Zelle physisch voneinander trennt – Schäden entstehen.» Zellinterne Kurzschlüsse führen dann zu einer schnellen internen Entladung. Dabei entsteht Wärme, die Temperatur der Zelle steigt an. «Dieser Temperaturanstieg initiiert in der Folge Zerset­-zungsprozesse, die schliesslich zu einem Brand und im Extremfall einer Explosion der Zelle führen können», so Tim Tichter. Dieser Prozess kann auch auf andere Zellen einer Batterie übergreifen, sodass schliesslich der komplette Energiespeicher thermisch durchgeht. «Dieser als Propagation bezeichnete Vorgang kann durch die grosse Menge an freigesetzter Energie zu einer erheblichen Gefahr werden», sagt Tim Tichter.

 

Fünf Minuten

Problematisch ist vor allem, dass das Thermische Durchgehen zumeist erst spät bemerkt wird. «Das liegt daran, dass die heute in Akkus verbaute Sensorik, die zum Beispiel auf das Messen von Änderungen bei Temperatur und Druck ausgelegt ist, erst unmittelbar vor dem Thermischen Durchgehen anspricht.» Deshalb verfolgt man an der BAM den Ansatz, den komplexen elektrischen Widerstand – die sogenannte Impedanz – einzelner Zellen einer Batterie permanent zu überwachen und diesen als Indikator für gefährliche Veränderungen innerhalb des Akkus zu nutzen. Das entsprechende Verfahren heisst «Elektrochemische Impedanzspektroskopie» (EIS). Tim Tichter: «Erste Ergebnisse unseres Projekts zeigen, dass EIS eine Vielzahl möglicher Schädigungen entdeckt, die zu einem Thermischen Durchgehen führen können.» Weil mit dem Projekt jedoch erst an den Grundlagen geforscht wird, dauert es wohl noch eine ganze Weile, bis das Verfahren in E-Autos angewendet wird. Einen möglichen Zeitrahmen möchte der PostDoc noch nicht nennen. «Dafür ist es noch zu früh. Es wird auf jeden Fall eine essenzielle Herausforderung sein, unsere Messmethodik zu ‹miniaturisieren› – sie also auf einem Mikrochip unterzubringen, der im Bereich der automotiven Anwendungen eingesetzt werden kann. Aktuell arbeiten wir noch mit Geräten, die zu gross und zu teuer für Anwendungen im Fahrzeugbereich wären.» Tim Tichter betont aber: «Lithiumbatterien sind generell bereits sehr sicher. Bei intakten Batterien ist ein Thermisches Durchgehen sehr unwahrscheinlich. Allerdings können beschädigte oder defekte Batterien thermisch durchgehen. Das gilt auch bei unsachgemässer Handhabung. Dies ist dann tatsächlich eine nicht zu unterschätzende Gefahr.»

 

Jedes fünfte neue Auto fährt elektrisch

Noch ist das Problem nicht riesig, denn gegenwärtig ist der Anteil Elektroautos auf den Schweizer Strassen noch relativ gering. Ein Blick in die Strassenfahrzeugstatistik 2023 des Bundes zeigt: Der Anteil E-Autos an neu zugelassenen Personenwagen lag bei gut einem Fünftel oder 20,7 Prozent. Gegenüber 2022 ist das zwar eine Zunahme von 3 Prozentpunkten. Aber das Segment wuchs nicht mehr ganz so dynamisch wie von 2020 bis 2022, als die Stromer ihren Anteil jedes Jahr um jeweils 4 Prozentpunkte und mehr steigern konnten. Alles in allem waren am Stichtag 30. September 2023 im ganzen Land rund 4,7 Millionen PKW für den Verkehr zugelassen. Gerade einmal 156 000 verfügten über einen rein elektrischen Antrieb. Von allen PKW auf Schweizer Strassen geraten pro Jahr durchschnittlich «nur» etwa 9000 in Brand.

 

Die Batterie kühlen

Brennt ein Fahrzeug, muss in den meisten Fällen die Feuerwehr ausrücken. Michael Derungs: «Grundsätzlich löscht man einen Stromer gleich wie einen Verbrenner, nämlich mit Wasser.» Handelt es sich um ein E-Auto und ist die Batterie betroffen, ist Wasser umso wichtiger: Dieses kühlt den Akku, wodurch ein Thermisches Durchgehen einzelner Zellen oder eine Propagation gestoppt werden kann. «Gelingt uns das nicht, muss das Fahrzeug in einen abgedichteten Spezialcontainer gepackt werden, der mindestens 48 Stunden lang geflutet und bewacht wird. Denn es kann verzögert zu einem erneuten Brand kommen.» Das Kühlwasser im Container kann dabei kontaminiert werden. Der Wachtmeister erläutert: «Ist das Gehäuse der Batterie beschädigt, läuft Wasser durch die einzelnen Zellen. Das führt zu einer Kontamination durch Schwermetalle wie Kobalt, Nickel oder Mangan. Deshalb muss das Kühlwasser als Sondermüll entsorgt werden.»

 

Spezialfirmen mit Spezialausrüstung

Der Transport, die Lagerung, Bewachung und Entsorgung eines ausgebrannten E-Autos obliegt hierzulande nicht den Feuerwehrkorps. «Dafür arbeiten wir mit Spezialfirmen zusammen», so Michael Derungs. «In der Schweiz haben sich mehrere Abschleppfirmen auf diesen neuen Markt spezialisiert. Sie verfügen über Spezialcontainer oder besondere Wannensysteme und lassen ihre Mitarbeitenden im Umgang damit ausbilden.» Die Verfügbarkeit solcher Unternehmen mit einer Spezialausrüstung sei bereits recht gut. «Und es kommen laufend neue hinzu.» Zudem arbeiten sowohl die Unternehmen als auch die Feuerwehren regions- und kantonsübergreifend zusammen, wenn es um brennende E-Autos geht.

 

Obacht bei weissem Rauch

Doch nicht immer ist die Feuerwehr zuerst zur Stelle, wenn ein Fahrzeug in Brand gerät. Viel häufiger sind es Zivilisten. Wie können diese aber feststellen, mit welchem Antrieb sie es zu tun haben? Dafür gibt es die AUTO-Regel (siehe Kasten). Michael Derungs: «Erkennen Ersthelferinnen und Ersthelfer, dass es sich um ein elektrisch angetriebenes Fahrzeug handelt, sollten sie dies bereits bei der Alarmierung mitteilen, damit die Rettungskräfte schon vorbereitet sind.» Ist die Unfall-stelle abgesichert und die Feuerwehr alarmiert, kann, falls nötig und gefahrfrei möglich, erste Hilfe geleistet werden. Es ist nämlich möglich, die Tür eines E-Autos zu öffnen, ohne gleich einen Stromschlag zu riskieren. «Die Wahrscheinlichkeit, einen Schlag zu erhalten, ist nach einem Unfall extrem klein. Das kann – wenn überhaupt – nur passieren, wenn die im Fahrzeug eingebauten Sicherheitsmechanismen komplett versagen.» Der Berufsfeuerwehrmann schätzt, dass eine weitere Gefahr bei kleinen Auffahrunfällen, oft ohne erkennbare Schäden, fast grösser ist: «Denn bei einem E-Auto hört man, anders als bei einem Verbrenner, nicht, ob der Motor wirklich aus ist – schon gar nicht, wenn noch weiterer Lärm hinzukommt. Deshalb rate ich in solchen Fällen: Vergewissern Sie sich, dass das Fahrzeug ausgeschaltet ist.» Des Weiteren empfiehlt er mit Verweis auf die AUTO-Regel, auf orangefarbene Hochvoltkabel – nicht anfassen! – sowie auf weissen Rauch zu achten. «Bevor es alternative Antriebe gab, wies weisser Rauch meist auf verdampfendes Kühlwasser hin. Das ist ungefährlich. Bei einem Stromer kann es sich dabei aber um toxische und leicht entzündliche Gase aus der Batterie handeln. Werden sie eingeatmet, kann das zu Verätzungen in der Lunge führen.» ?

 

Im Podcast «Sondersignal» von Schutz & Rettung Zürich spricht Michael Derungs in einer Folge über Fahrzeugbrände.


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